Die Trivialisierung des Buchmarktes

Die Trivialisierung des Buchmarktes

Von Fred Sonntag am 16.07.2021

Als ich gestern so eine Reihe Bücher aus den 80er-Jahren scannte, wurde mir bewusst was mit dem heutigen Buchmarkt passiert ist. Es geht eine Trivialisierung vonstatten. Was Bedeutetet das? Nun, früher waren Bücher noch Instanzen. Das sind sie aber heute zunehmend nicht mehr. Ihr Wert und ihre Bedeutung verliert sich, er zerstiebt in mehrere Richtungen und doch hat er nie ganz aufgehört. In Zeiten des Internet, in Zeiten von Informationsfluten und Textbrokern, in Zeiten in denen Bücher verschenkt werden und nur noch der Versand etwas kostet, besteht die Gefahr das das Monument Buch zu seinen Einzelteilen zerfällt: Zu Buchstaben, Farbe und einer endlosen, lästigen Masse aus Papier und Pappe.

Der Mensch IST Information – Noch nie wurde einem das so bewusst wie heute. In Zeiten des omnipräsenten Daueronlines und Smartphones bestimmen Informationswelten und elektronische Vernetzungen unserer soziale Begegnungen unser SEIN – und das speist sich aus Informationen. Aber zunehmend elektronischer Natur. Auf gedruckte Informationen möchten wir dennoch nicht verzichten – dank Druckern und Online-Bestelldiensten verschmelzen gleich einer Symbiose digitale Texte zu papiernen – aber in beliebiger Größenordnung. 

Wie im Himmel so auf Erden. Wie in der digitalen Wolke so auf irdischem festen und anfassbarem Papier. Wir könnten Bücher selber drucken, oder drucken lassen. Jeder wird selbst zum Veröffentlicher, zum Autor, zum Sprachrohr seiner selbst – jeder hat etwas zu sagen. Kaum ist es ausgesprochen, aufgeschrieben und gelesen und schon ist es wieder verschwunden, vergessen – den der nächste Post wartet schon. Die Informations-Welt des 21. Jahrhunderts besteht aus eleganten und leicht verdaulichen, dafür meistens trivialen und seichten Informationshäppchen und nicht aus laaangen und mühselig zu studierenden Büchern  – die Bedeutung mächtiger Autoren und ihrer Schriften – BÜCHERN, schwindet. Ihre machtvollen Titel müssen konkurrieren in einem Überangebot an Informationen, Aufmerksamkeitsklauern und vermeintlichen Wichtigkeiten.

Ja, früher waren Bücher noch Instanzen. Das sagte ich bereits. Ganz besonders in der DDR. Es gab nur 70 bis 80 Verlage in diesem Land. Allein das sagt etwas aus. Die Marke Buch ist begrenzt und beschränkt und zwar in mehrerer Hinsicht. Das mag sich diktatorisch und restriktiv anhören, machte aber die Instanz Buch (im deutschen real-existierenden Sozialismus) so wertvoll. Das Papier der DDR, ein rarer Rohstoff, wurde von der Partei zugeteilt. Beinahe aufs Gramm genau. Verschwendung? Gab es nicht. Genauso rar waren übrigens die Druckkapazitäten!

Jedes gedruckte Buch benötigte eine Druckgenehmigungsnummer und später auch eine ISBN-Nummer. Alles war genau abgezählt. Gute Bücher waren schnell vergriffen und wurden zur „Bück-Ware“. Wertvoller als ein Stück Gold. Bücher wurden gar verboten und landeten im Panzerschrank. Die Buchproduktion und ihr Vertrieb war staatlich angeleitet und vorherbestimmt. Das hatte natürlich auch Nachteile. Auf jeden Fall gab es eins nicht: Überfluss. Und das hat auch sein Gutes!

Der nicht vorhandene Überfluss der Instanz Buch – ein wesentlicher Grund, der verhinderte dass eben jenes an sich im Bedeutungsverlust und der Beliebigkeit zerstiebt. So wie heute. Bücher werden zur Massenware und wie geschnitten Brot oder am Wühltisch verkauft. So ist das, wenn man meint das Buch allein „dem Markt“ zu überlassen. Denn wie ich schon andeutete, das Buch wird zur beliebigen papiernen, manchmal auch lästigen Masse – einem Wust, der transformatorisch irgendwelche Informationen von irgendwelchen Autoren von irgendwelchen Verlagen von irgendwelchen Druckereien in irgendwelchen Formaten bereithält –  Hauptsache es wird gekauft, Hauptsache es sorgt für Umsatz. Das Buch als beliebig skalierbares Umsatzquantum – der Inhalt ist egal. In dem Moment als es verkauft wurde, hat es seinen Zweck erfüllt und der Inhalt wird obsolet. Ist es wirklich schon soweit? 

Inhalte – das sagt übrigens heute keiner mehr – es heißt Content, sind zu einer handelbaren, beliebig vermarktbaren und kaufbaren Ware geworden. In Zeiten von Contentagenturen, Textbrokern, Stockfotoagenturen zerschmilzt der Urgrund aus dem das Buch wurde zu einer Beliebigkeit und Trivialität – die zweit , dritt und viertvermarktet wird – am besten in einem Sales-Funnel. Und das physische Produkt „Buch“ wird dank On-Demand-Print-Diensten  und Laserdruckern zum Inflationären Gut – das zu seiner Beliebigkeit führt. Diese Beliebigkeit führt aber zu deren Bedeutungslosigkeit. Das sind die Gefahren, dem die Instanz Buch im 21. Jahrhundert im Heimatland des Johannes Gutenberg und der ersten gedruckten Bibel gegenübersteht.

Da haben wir Antiquare es besser. Ja, auch wir werden von Tonnen von Papier geflutet. Aber wir wissen ein Liedchen davon zu singen, das die Instanz Buch zu seinem eigentlichem Wert zurückkehrt – in dem es auf seine Vergänglichkeit zugeht. Der Wert der Instanz Buch kehrt zurück durch seine Seltenheit, durch sein Alter und seine damit verbundene Rarität. Die Nichtverfügbarkeit von etwas erhöht seinen Wert – vorausgesetzt natürlich es wird auch nachgefragt.

Etwas was rar ist und dann noch dazu gefragt und beliebt – sowas wird wertvoll. Es wird wieder zu einem Stück Gold. Nicht Gold, aber viel Geld zahlt man für so eine kleine Rarität und ist hoch erfreut es endlich in den Händen zu halten.

Genau dafür sind wir da, wir Antiquare – wir machen Menschen glücklich. Wenn auch manchmal zu einem unverschämten Preis!

Es leben die Seltenheit, es lebe die Rarität, die Einmaligkeit und die Exklusivität!

Wie im Leben, so ist es auch mit dem Buch – die Endlichkeit und das Alter erhöhen seinen Wert.